Esperanza
Spierling,
Leipzig
Grammatik des Bildes.
Unterkühlt erscheint die Bildwelt der 1971 in Spanien
geborenen Künstlerin Esperanza Spierling: Sitzecken
in modernem Ambiente, weißgekachelte U-Bahnstationen
oder sterile Ausstellungsräume sind die Hauptmotive
ihrer Fotografien.
Spierling vermeidet spektakuläre
Ansichten wie extreme Unter- oder Aufsichten oder Licht-
und Schatteninszenierungen. Stattdessen wird in ihren Bildern
eine besondere ästhetische Formalisierung deutlich,
wenn sie frontal, beinahe monochrom und menschenleer ihre
Motive fotografisch festhält. Das Resultat ist eine
Entrückung der belanglosen Alltagssituationen, denn
sie erwachsen nunmehr zu 'besonderen Orten', quasi
zu Tatorten. Spierling geht auf Spurensuche, jedoch weniger
nach ausgewählten Orten sondern eher nach dem 'perfekten
Bild'.
Die Künstlerin beschränkt sich auf große
Flächen, einfache Kompositionen und nur punktuelle Farbgebungen
und unterläßt es, kleinteilige Formationen ins
Bild zu bringen, die die Generalwirkung des Motivs in Unruhe
versetzen könnten. Solcherlei Bildsprache ist eigentlich
in der Malerei beheimatet und weniger in der Fotografie,
die landläufig als eine reine Dokumentationstechnik
verstanden wird.
Der Betrachter erkennt zwar die fotografisch
wiedergegebenen Situationen und wähnt sich in der Sicherheit
des Gewohnten, nimmt aber zugleich die beinahe versachlichte
bis heroische Bildgestaltung wahr. Es entsteht ein geradezu
surrealer Irritationseffekt: Man wird zum Nachdenken aufgefordert,
etwa über die Flüchtigkeit, mit der wir unsere
Umwelt wahrnehmen oder empfindet ein Fremdsein gegenüber
dem uns eigentlich Vertrauten.
Es geht Spierling um solche
Grenzzonen der Bildgestaltung und Wahrnehmung, die sie immer
wieder aufs Neue erprobt. 'Bildversuche' nennt sie
konsequenterweise ihre künstlerische Fotografie, die
sie als Serie anlegt.
Sie wählt ähnliche Motivgruppen,
die wie in einer wissenschaftlichen Reihenuntersuchung in
Szene gesetzt werden. Systematisch analysiert sie in einer
vergleichenden Betrachtung die Wirkungsweisen der Bildsprache,
gleich ob es sich um eine Fotografie oder ein Gemälde
handelt.
Spierling, die 2003 ihr Diplom über Bildende
Kunst/künstlerische Fotografie an der Hochschule für
Grafik und Buchkunst Leipzig abgelegt hat und seit 2003 Meisterschülerin
bei Prof. Timm Rautert ist, widmet ihre Experimente einem
Heroen der modernen Kunst, Barnett Newman. Der amerikanische
Künstler, Mitglied der sogenannten New York-School,
ist mit seinen großformatigen, beinahe monochromen
Bildwerken in die Kunstgeschichte eingegangen. Er versuchte
in der Mitte des 20. Jahrhunderts, die Erfahrung des Erhabenen
durch seine überdimensionierten Farbflächen beim
Betrachter zu provozieren.
Jahrzehnte später entscheidet
sich Spierling für eine vergleichbare Gestaltung, jedoch
formuliert sie zugleich Zweifel an dem Konzept Newmans: Es
scheint, als würde sie heutzutage nicht mehr an die
Möglichkeit einer solchen außerordentlichen Erfahrung
durch die Kunst glauben. Die Antwort überläßt
sie dem Betrachter.
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